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  • AutorenbildCornelia Egg-Moewes

Weil er kommt, um das Verlorene zu suchen

Aktualisiert: 15. Juni 2020

Predigt am Sonntag Reminiszere, 8.3.20



I. Das is ´n Loser, Alta, vergiss den, der kriegt nichts auf die Reihe, dieser Loser.

Die Jugendsprache drückt es aus: Das Leben und sein Urteil können hart sein.

Aber wir Erwachsene sind genauso schnell mit solchen Aussagen.

Wenn es denn die anderen betrifft.

Wenn andere verlieren, fühlt sich mancher gar als Gewinner.

Denn: Verlieren ist wirklich das Letzte.


Verlieren fühlt sich schwer an. Es zieht einen nach unten.

Und es reicht schon ein Gegenstand.

Ein Seidenschal z.B.

Ich hatte ihn von einer Nachbarin zur Konfirmation geschenkt bekommen. Ich fand ihn toll, er ließ mich erwachsen wirken. Federleicht legte er sich um meinen Hals. So leicht, dass ich eines Tages gar nicht mitbekam, wie der Wind ihn beim Fahrradfahren davonwehte. Er blieb verloren. Und nur kurze Zeit später verstarb die Nachbarin.

Mein Verlust fühlte sich schwer an. Dabei war´s nur ein Seidenschal.


Verlieren macht Angst. Es kann einem Alptraum gleichen.

Wahrscheinlich hat es jede Familie mit kleinen Kindern schon erlebt:

Unterwegs und viele Menschen um einen herum.

Und plötzlich ist der Kleine weg. Wie vom Erdboden verschluckt.

Hektisches Suchen beginnt. Je länger, desto nervöser wird man.

Meistens gehen solche Situationen gut aus. Gott sei Dank!

Vergessen wird man sie jedoch nie.


II. Von Jesus wird erzählt, dass er kommt, um das Verlorene zu suchen (Lk 19,10).

In der Bibel lesen wir davon in Worten wie „für uns Sünder gestorben“, weil „Gott diese Welt und ihre Menschen liebt“, wie es im neuen Wochenspruch und im heutigen Evangelium heißt (Röm 5,8 und Joh 3,16).


Aber: Können wir uns einen Gott vorstellen, der verliert?

Ein Hirte, dem ein Schaf abhanden kommt. Und der deshalb loszieht, um es zu suchen. Dieses Bild kennen wir.

Gibt es also für Gott auch so einen Alptraum? Dass ihm Söhne und Töchter verloren gehen?

Mich rührt diese Vorstellung. Was für eine Liebe leuchtet da durch dieses Bild hindurch!


Und dann zieht er los. Um uns zu suchen. Er gibt keine Ruhe, bis er uns gefunden hat.

Er ruht nicht. Auch wenn wir gleichgültig die Achseln zucken.

Er gibt nicht auf. Und sucht. Und sucht, was er verloren hat.


Wie sieht das aus, wenn Gott sucht?

Der Hirte lässt die Gruppe, wo sie bereits ist: zu Hause. Dort, wo sie haben, was sie brauchen.

Er selber macht sich auf den Weg. Um zu suchen. Und geht ihm nach. Nicht der frommen Gruppe. Er geht dem einzelnen nach.


Ein anderes Bild: Der barmherzige Vater hofft zu Hause auf seinen Sohn, obwohl sich der für immer verabschiedet hatte. Als er zurückkommt, erkennt ihn der Vater schon von weitem. Mit Tränen in den Augen läuft er ihm entgegen.

Und breitet die Arme aus – denn es ist und bleibt sein Kind.


Jesus sagt: So sucht Gott. Er gibt niemanden verloren.


III. Das hat Auswirkungen. Bis in unser Zusammenleben hinein.

Menschen, die Hass verbreiten. Gott gibt sie nicht verloren.

Menschen, die anderen Leid antun. Gott gibt sie nicht verloren.


Die Schwere vom Anfang findet sich jetzt auch hier: Keiner geht verloren.

Also auch die nicht, denen ich es gönnen würde. Weil ich es gerecht fände.

Irgendwo ziehe ich eine moralische Linie: Das ist noch ok, das geht noch.

Aber das, das geht gar nicht. Nein, Gott, wie kannst du nur?


Dann er schaut zusammen mit mir auf die Mutter, die ihren Sohn nicht aufgibt. Jahrelang nimmt er Drogen. Er bricht die Schule ab, hängt rum, stürzt ab, klaut, betrügt, auch die Familie. Verspricht, und hält es nicht ein. Immer wieder.

Freunde sagen ihr: Gib ihn auf. Er wird sich nicht ändern.

Sie werden recht behalten.

Aber die Mutter kann nicht anders. Sie kann ihr Kind nicht aufgeben.

Da gibt es ein Band, das nicht einmal der Tod zerschneiden kann.

Der Tod, an den sie ihren Sohn schließlich verliert.

Sie kämpft mit Gott. Auch weil sie darauf vertraut, dass er bei ihm nicht verloren ist. Dass ihre Liebe nur ein schwaches Abbild davon sein wird, wie sehr Gott uns Menschen liebt. Seine Kinder. Jede und jeden einzelnen.


Das zu zeigen, dafür lebt Jesus.

Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen,

was verloren ist (Lk 19,10).


Darum kommt Gott auf die Welt. Einzig um zu suchen.

Und von ihm erzählt bereits der Prophet Jesaja: Sollten uns selbst Mütter je vergessen, er will uns immer im Gedächtnis behalten (Jes 49,15).

Und er kommt, um zu suchen.

Der Verlust ist für ihn so groß, dass er sich zum Äußersten entschließt:

Mensch werden. Am Kreuz selber verloren gehen.


Und: endlich finden!

Seine Söhne und Töchter. Die Kinder, die wie vom Erdboden verschluckt waren.

Der Alptraum ist für uns vorbei. Wir sind gefunden.


Wie die 99 Schafe bekommen wir – ohne unser Zutun – was wir brauchen:

Ein Zuhause. Geborgenheit. Nichts wird uns mehr von dieser Heimat trennen. Keine drohend dunkle Botschaft von Sünde oder Hölle braucht uns mehr Angst zu machen. Kein ungewisses Schicksal wartet auf uns. Wir sind gefunden.

Gott sei Dank!


IV. Haben diese geborgenen Schafe jetzt eine Verantwortung für das verlorene?

Oder bleibt das allein Sache des Hirten?

Es gibt in der Natur tatsächlich so etwas wie Leitschafe. Auch der Hirte ist auf sie angewiesen. Und im Idealfall bilden sie miteinander ein gutes Team.


Doch dieses Bild vermisse ich aktuell in unsrer Welt! Es gehen Menschen verloren. Wir kennen nicht einmal ihre Namen.

Und solange keiner der Leitschafe verantwortlich handelt, solange bleibt meine Freude über das Gefundensein bei Gott getrübt.


Ja, in dem Zusammenhang fühle ich mich selber als Loser. Die Hilflosigkeit lässt mich verlieren.

Und ich brauche diese Zusage von neuem: Der Menschensohn kommt, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.


Seine verlorenen Kinder. Brüder und Schwestern, vom Mittelmeer verschluckt. Schwestern und Brüder, gefoltert und missbraucht in Lagern, deren Länderchefs mit den unsren Abkommen schließen. Und Kinder, gefangen an Grenzzäunen und in Hoffnungslosigkeit, ohne Zukunft. Auch unter uns: Erwachsene, verloren in Angst, Einsamkeit und Verzweiflung.


Seine verlorenen Kinder. Uns Brüder und Schwestern, die wir oft nicht wissen,

was wir tun sollen.


Uns allen sagt Jesus: Bei Gott geht niemand verloren. Ich komme und suche dich.

Auch auf dem Meeresgrund. Auch in den Folterlagern, und jenseits aller Hoffnung. Und schon in vergangenen Tagen: die Vermissten, die gewaltsam Getrennten, die zu Staub Gewordenen.


Ich, sagt Jesus, kenne deinen Namen!


Und: Auch euch, die ihr zu Hause und geborgen seid. Euch komme ich von neuem entgegen.

Dort, wo du es am wenigsten erwartest, begegnen wir uns:

Die Bettlerin an der Haustüre. Das lachende Kind, das deine Schwermut mildert.

Ein „es tut mir leid“ deines Bruders. Die Internetbekanntschaft, die sagt, dass sie im Gebet an dich denkt.


Ich suche dich am Grund deiner Hilflosigkeit auf.


V. Ausgerechnet mit uns Losern gründet er vor 2000 Jahren eine neue Gemeinschaft. Eine Kollegin hat sie im letzten Jahr „Gottes geliebte Gurkentruppe“ genannt.


Ihr Ziel ist nicht der Erfolg. Zu keiner Zeit. Es zählen nicht die Zahlen.

Aber das Finden. Und das Gefundenwerden.

Durch ihn: Jesus, Heiland, Seligmacher.

Obwohl wir Menschen bis zum Schluss verlieren. Am Ende noch unser Leben.


Ja, wir sind Loser - aber wir sind gefunden!

Und erst dann wird Gott einmal aufhören, uns zu suchen. Jeden einzelnen. Amen.

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