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  • AutorenbildCornelia Egg-Moewes

...von welchen mir Hilfe kommt - Predigt zu "Vorbilder im Glauben" und Thema der Jahreslosung 2020

Aktualisiert: 5. März 2020


Da hing diese kleine Holztafel. Seit ich denken konnte, hing sie dort. An der Wand über ihrem Bett.

Und es war ein Vers eingraviert. Würde meine Oma heute leben, hätte sie davon vielleicht ein Tattoo. Wer weiß.


"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,

von welchen mir Hilfe kommt", stand dort. *


Nach außen hin war meine Oma eine harte Frau. Wir Enkelkinder achteten sie. Auf eine besondere Art liebten wir sie auch. Doch das entdeckte ich erst später.

Heute, im Rückblick kann ich die tiefen Spuren erkennen, die sich in ihrer Seele eingegraben hatten. Meine Oma verlor darüber nicht viele Worte. Auch nicht über ihren Glauben. Er war schlicht ein Teil ihres Lebens. So wie die kleine Holztafel an ihrer Wand.


Für mich wurde der Vers zu einem Familienspruch.

Jeder von uns kennt aus seiner Herkunftsfamilie Sprüche, die einen als Kind prägen, ob man will oder nicht.

"Von nichts kommt nichts“, zum Beispiel.

Dass mir neben solchen Halbwahrheiten auch jener Vers mitgegeben wurde, deute ich heute als Geschenk Gottes.


"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,

von welchen mir Hilfe kommt."

Aber es war ein Weg bis dahin.

Die kleine Enkelin hatte gerade lesen gelernt. Und sie las: Ich hebe meine Augen auf. Hm, verstehe ich das?

Die Sechsjährige las weiter: "... Augen auf zu den Bergen".

Aufblicken, den Kopf erheben, hinauf zu den Bergen.

Ja, das kannte ich. Wenn wir am Fuß eines Gipfels standen, auf den die Eltern hinauf wollten, dann richtete auch ich meinen Blick auf zu den Bergen.

Und zweifelte erst einmal daran, was die Erwachsenen vorhatten.

Aber am Abend dann, wenn ich von unten noch einmal hinaufblicken konnte, dann war das Erlebnis wunderbar: Dort oben waren wir heute! Und das Staunen überwog alle Strapazen. Auch heute noch in der Erinnerung.


"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,

von welchen mir Hilfe kommt."

Ich sehe mich an dem kleinen Tisch sitzen, gegenüber der Wand mit der Holztafel. Und immer wieder der Gedanke: Wie kann von den Bergen Hilfe kommen?

Meine Oma war keine Bergsteigerin. Gab es eine Bahn hinauf und oben auf dem Gipfel gar ein Café, ja, dann war sie auch mal in den Bergen. Aber sonst hatte sie als Stadtkind keinen Bezug zu überwältigenden Bergsteigererlebnissen.

"... zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt."


Es blieb mir lange ein Rätsel. Bis ich als Jugendliche in einer Bibel diese Übersetzung las:

"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.

Woher kommt mir Hilfe?"

Jetzt war ich neugierig: Ja, woher bekommt der Beter denn Hilfe?

Und ich las im Psalmtext weiter:

"Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,

und der dich behütet, schläft nicht.

Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht." **

Ich war fasziniert von der kraftvollen Sprache. Die Bilder prägten sich tief in mir ein.

Und ich hätte meine Oma so gerne gefragt, was dieser Text für sie bedeutete. Denn dass hinter der harten Fassade mehr steckte, das ahnte ich bereits.

Aber ich fand keine Worte dafür. Und ich traute mich nicht.

Immerhin: Wenn ich heute ihren Text in meinem alten Poesiealbum lese, spüre ich, dass uns etwas verbindet, das Raum und Zeit überdauert:

"Ruht dein Aug auf diesen Zeilen, mög dein Herz dann rasch hereilen zu deiner dich liebenden Großmutter".


Eines Tages konnte sie nicht mehr aufstehen. Sie war schon einige Jahre zuvor an Demenz erkrankt. Erkannte uns auch nicht mehr. Doch sie konnte in ihrem Zimmer bleiben. In ihrem Bett. Und darüber, an der Wand, hing die Holztafel.

"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,

von welchen mir Hilfe kommt."

In den Monaten vor ihrem Tod entdeckte ich, dass diese Version für meine alte Oma eine besondere Bedeutung hatte:

Der Vers war keine Frage! Er war ein Bekenntnis.

Es war ihr Glaubensinhalt: Ich bekomme Hilfe. Indem ich meine Zweifel Gott hinhalte. Die Momente, in denen ich nicht weiter weiß und am Verzweifeln bin.

Dann habe ich es immer wieder erfahren, dass ich, wenn meine Füße keinen Boden mehr spürten, dennoch gehalten war. Lange schon vor uns nannten sie ihn den Menschenhüter. Der auch mir Hilfe schickt. Für die mühsamen Berge des Lebens.


Und ich erinnerte, was mir aus ihrem Leben erzählt wurde:

Wie sie ganz früh ihren Vater verlor.

Wie die verwitwete Mutter unter Druck gesetzt wurde und ihre Grundstücke in N. verkaufen musste. Kurz darauf kam die Inflation und Witwe mit zwei Töchtern standen vor dem Nichts.

Wie sie einen Stiefvater bekam, der sein Einkommen als Lehrer versoff.

Wie meine Oma nach dem ersten Weltkrieg lange keinen Mann fand, weil alle ihre Bekannten gefallen waren.

Wie sie dann einen Pfarrer heiratete und die beiden ihr erstes Kind noch am Tag der Geburt verloren.

Wie sie als einfache Frau ihren Mann als Dorfpfarrer vertreten musste, weil die Kirchenleitung ihn kurzerhand in die Stadt M. zur Vertretung abordnete.

Wie sie später mit ihrem kleinen Jungen im Luftschutzkeller während der Bombenangriffe auf M. um ihr beider Leben bangte.


"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,

von welchen mir Hilfe kommt."

Jahre später hängte sie diesen Vers an ihre Wand. Es war für sie keine Frage. Es war ihr Bekenntnis. Zu einem Gott, der durch das dunkle Tal führt. Dabeibleibt. Hindurchhilft. Kraft zum Weitergehen gibt.

Es war nicht ihre Art, große Worte drüber zu verlieren. Sie lebte es:

"Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,

und der dich behütet, schläft nicht.

Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht."

Familienspruch. Prägend. Und wenn er sich als tragend erweist, Lebensspruch und Familienerbe von unschätzbarem Wert.


Jahre später saß ich in einem israelischen Bus. Wir wollten von Jericho hinauf nach Jerusalem. Wie die Wallfahrer damals, die Jahrtausende zuvor zum Tempel hinauf zogen. Doch anders als ich in meinem sicheren Bus, begaben sich jene in große Gefahr. Räuberbanden lauerten hinter den Felshügeln. Und um die Angst zu vertreiben, sangen die Wallfahrer mit Blick hinauf zur Stadt Jerusalem ihr Lied:

"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,

von welchen mir Hilfe kommt."

An diesem Tag verknüpften sich für mich die beiden Welten: Das Leben meiner Oma erschien mir wie dieser Wallfahrtsweg. Jeder Schritt trotz allem unter der Zusage:

"Der Herr behütet deine Seele.

Er behütet deinen Ausgang und Eingang

von nun an bis in Ewigkeit." ***



* Psalm 121, 1

** Psalm 121, 2-4

*** Psalm 121, 7f.





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